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Profs abschaffen!

23. Januar 2015 / Kommentieren

profsabschaffen

Ein paar Freunde und ich versuchen, den langweiligen Wahlkampf zum zentralen Gremium der TU-Berlin-Selbstverwaltung etwas aufzumischen. Wir fordern: Schafft die Profs ab!

„Professoren abschaffen“, das klingt abgedriftet. Denn was wäre eine Uni ohne Profs? Zunächst: Vermutlich wäre sie gar nicht so anders. Denn schon heute kommt die TU Berlin mit relativ wenigen aus. Lehre und Forschung wird in vielen Fächern größtenteils von den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und studentischen Hilfskräften getragen. Den Rahmen bestimmen die sonstigen Mitarbeiter*innen. Stimmt schon: Die Wortwahl dieses Systems suggeriert, die Professor*innen stünden im Zentrum. Aber hauptsächlich existieren sie aus sentimentalen Gründen.

Profs stehen für die Illusion, irgendwer verstünde diese Welt. Sie markieren die vage Verheißung, dass manche wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen den Stromschnellen der permanenten Befristungen entkommen können, ohne die Uni zu verlassen. Profs werden produziert, auf dass sich der mystische Rohstoff der akademischen Welt, die Reputation, irgendwo kondensiere.

Wir sagen: Hand aufs Herz, Finger in die Wunde! Angebliches Weltverständnis vergiftet die Gedanken mehr als aufrichtige Ahnungslosigkeit. Die Antwort auf prekäre akademische Arbeitsverhätlnisse ist nicht die Verbeamtung der wenigen, sondern die Daueranstellung für viele. Und ob der Reputationszirkus von Ehrenautorenschaft, h-index-Rechenspielchen und Zitierkartellen der Wissenschaft dient, darf durchaus bezweifelt werden.

Früher oder später wird sich die TU Berlin von Profs verabschieden müssen. Wenn es nach uns geht: noch früher.

Wir haben radikale Visionen für die TU Berlin. Lest auch unsere Vorstellung im Wahlspezial der TUintern!

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Der Bus aus der Schule

27. Juni 2014 / 1 Kommentar

In der Ferne sehe ich den Bus um die Ecke biegen. Er kam nicht durch die Sitzblockade vor der Schule, also hat er gewendet. Uns war gleich klar, dass er dann hier langfahren wird, um die Refugees durch die Lausitzer aus dem Sperrgebiet zu bringen. Aber fast alle sind bei der anderen Blockade geblieben. Wir sind nur zu dritt. Erwartet denn niemand anders hier den Bus? Leute gehen an uns vorüber. Sie merken nicht, wie wichtig dieser Fleck Kreuzberger Asphalt ist. Sie müssen stehen bleiben! Wie mache ich sie aufmerksam? Ich rufe: „Ich sehe einen Bus. Warten wir nicht alle auf einen Bus?“ Ein komischer Satz. Wie formuliert man so etwas, ohne danach als Rädelsführer festgenommen zu werden? Heutzutage wird einem ja vieles als Aufruf zu Gewalttaten ausgelegt. Die Leute müssen stehen bleiben. Bitte bleibt stehen! Ein paar begreifen tatsächlich, was los ist.

Auch die Polizisten vor uns begreifen, was los ist. Sie bewachen ihr Tor aus Hamburger Gittern. Sie werden es öffnen, sobald der Bus uns erreicht. Dieser nähert sich langsam. Ein Polizeiwagen fährt vor ihm. Es sind viel mehr Polizist*innen hier als Demonstrant*innen. Doch wir werden mehr… Ein Dutzend, vielleicht zwei – immer noch viel zu wenige. Der Bus ist gleich da. Er steht vor uns. Schon öffnet sich das Tor. Unsere Leute versuchen, eine Sitzblockade zu errichten. Sie werden sofort zu den Seiten gezerrt und geworfen. Im Getümmel fliegt ein Stoß Flyer aus meiner Bauchtasche. Habe ich noch etwas anderes verloren? Unsere Aktion hält das Polizeifahrzeug und den Bus minimal auf. Für alle paar Sekunden, die wir hier gewinnen, werden wir einer mehr. Das ist gut. Hoffentlich hat jemand das schon auf Twitter gepostet. Vielleicht stoppen wir den Abtransport. Der Bus will wieder losrollen.

Ich stelle mich vor den Busfahrer. Eine Scheibe und ein halber Meter trennen uns. Ich versuche, nur ihn zu sehen. In ein paar Sekunden werden Polizist*innen bei mir sein. Werden sie mich hinterrücks mit Schlagstöcken oder Pfefferspray angreifen? Festnehmen? Fortschleifen, auf den Boden schmettern und fixieren? Ich versuche, nicht daran zu denken. Bloß den Busfahrer anschauen! Er ist das Zentrum. Er sieht aus wie der normalste Busfahrer der Welt. Er harrt aus, als würde er an der Ampel oder im Stau stehen. Hat er so einen Tanz von Protest und Polizei schon einmal vor seiner Stoßstange erlebt? Er würdigt mich keines Blickes. Keine Regung zu merken. Sein Starren sticht an mir vorbei Richtung der Feuerwache. Wie fern man jemandem sein kann, von dem einen nur eine Scheibe trennt. Bemerkt er mich? Dumme Frage! Natürlich weiß er, dass ich hier stehe. Stünde ich nicht hier, wäre sein Weg frei. Sein Fuß würde sich aufs Gaspedal senken. Wieso kann er mich nicht ansehen? Hat er ein schlechtes Gewissen?

Was ist überhaupt mit den Refugees? Es hieß, viele hätten die besetzte Schule gerne verlassen. Vielleicht hassen sie mich, weil ich ihren Bus behindere? Ich bemühe mich, ihre Gesichter im hinteren Teil des Busses zu entdecken. Ich erkenne wenig. Die Scheiben sind getönt. Da reißt es mich davon. Ein Beamter hat mich gepackt und schleudert mich einfach zur Seite. Ich wiege nicht viel. Das war ein sehr kollegialer und kontrollierter Wurf. Hatte ich Glück mit meinem Beamten? Ich lande aufrecht auf meinen Füßen. So etwas Nettes hatte ich kaum erwartet. Unbehelligt stehe ich neben dem Bus. Die Polizist*innen nehmen keine Notiz mehr von mir. Andere Demonstrant*innen werfen sich jetzt abwechselnd vor Bus und Einsatzwagen. Hoffentlich passiert niemandem etwas.

Durch die Busscheibe trifft mich der Blick eines Mannes. Schaut er mich schon länger an? Sein Gesicht ist nah am Glas. Er guckt freundlich. Sein Daumen hebt sich. Er lächelt. Offenbar findet er es gut, dass wir da sind. Ich winke ihm und versuche, ihn Mut-machend zu grüßen. Aber ich weiß: Wir sind selbst hilflos. Sieht man mir das an? Blicke ich wehleidig? Merkt er meine Ratlosigkeit? Er hält die Fläche seiner zweiten Hand an die Scheibe. Plötzlich stehe ich bei ihm. Ohne einen Gedanken bin ich die drei Meter an den Bus herangetreten. Meine Hand legt sich auf die andere Seite der Scheibe. Wäre nicht ein Zentimeter Glas zwischen unseren Handflächen, wir würden uns berühren. Wir sehen einander in die Augen. Es existieren kurz nur wir zwei und das Glas zwischen unseren Händen. Ich pendle zwischen Melancholie und Mut. Wie nah man einem Unbekannten sein kann, von dem einen eine Scheibe trennt. Er gibt mir Kraft. Wie zum Abschied schlägt er seine flache Hand seicht auf das Fenster. Ich erwidere die Bewegung, als wäre ich sein Spiegelbild. Gleichzeitig erreichen unsere Hände das Glas. Durch die Scheibe vibriert ein dumpfer Klang. „Treten Sie bitte beiseite“, schiebt mich ein Polizist weg vom Wagen. Jetzt klopfen mehrere Menschen im Bus rhythmisch von Innen gegen die Scheiben. Es hat sich ausgebreitet. Tock-Tock-Tock melden sich ein Dutzend Hände aus dem Glassarg auf Rädern. Auch der Polizist schaut sich um. Das ist gruslig! Dieses Klopfen erinnert mich an eine Szene aus einem Holocaust-Film: Dort hört man das panische Hämmern aus der Gaskammer langsam ersterben. Selten hat ein Film so traumatische Motive so tief in meinen Kopf gepflanzt. Das Gaskammer-Bild ist viel stärker als das, was hier passiert. Ganz unangemessen. Hier sitzen nur Menschen in einem luxuriösen Linienbus. Kein Gas, keine Toten. Es beeindruckt mich doch.

In der Schule hatte es einen Toten gegeben. Viele der Menschen in diesem Bus sind aus noch viel brutaleren Welten zu uns gekommen. Wie kaputt müssen ihre Herkunftsorte und wie unerträglich müssen die Flüchtlingsheime sein, dass sie das Leben in einem maroden und mörderischen alten Schulgebäude vorzogen? Ich kann es mir nicht vorstellen. So viel trennt mich von den Leuten in diesem Bus, viel mehr als eine Scheibe! Vermutlich ist von all diesen Welten jenseits des Glases die des Busfahrers der meinen am ähnlichsten. Ausgerechnet dieser Busfahrer, der unsere Koexistenz mit seinem Weggucken leugnen wollte, soll mir am nächsten sein?

Vielleicht bringt dieser Bus die Insassen wirklich an einen besseren Ort. Die meisten werden früher oder später natürlich wieder irgendwohin abgeschoben werden. Unser Sozialsystem kann so viele Flüchtlinge nicht verkraften, wurde mir kürzlich erklärt. Vor diesem Hintergrund scheint es vielen am verantwortlichsten, vereinzelte Geflüchtete in jene Krisenregionen zurückzuschicken, in denen ihre Familien schon ermordet wurden und wo erst recht kein Sozialsystem existiert. Wenn wir schon für die Bänker die Gürtel enger schnallen sollen, dann doch zumindest nicht auch noch für die Neger! Ist Sarkasmus eine gute Antwort auf Zynismus? Einige Refugees werden dann erneut versuchen, in die EU zu gelangen, und im Mittelmeer ertrinken. Oder sie nehmen sich im Flüchtlingsheim das Leben. Oder sie werden von denen gelyncht, vor denen sie geflohen waren. Aber für manche von den Leuten in diesem Bus mag heute auch der Tag sein, ab dem alles besser wird. Wer bin ich, mich diesen Reisenden in den Weg zu stellen?

Es wird mir wieder klar: Sie haben gegen die Scheiben geschlagen! Wohin auch immer ihre Reise geht, offensichtlich sind sie gerade gegen ihren Abtransport. Weil ich mir nicht vorstellen kann, in der Ohlauer-Schule zu wohnen, glaubte ich irgendwie den Mythos von den freiwillig abreisenden Flüchtlingen. Was bin ich eigentlich für ein Idiot? Musste ich ernsthaft erst den verzweifelten Bus der „freiwillig“ Abreisenden berühren, um zu verstehen? Hier hatten Menschen in der ehemaligen Schule einen Hauch von Zufluchtsort gefunden. 900 Polizisten waren nötig, damit sie ihn aufgaben. Nötigung ist noch perfider, wenn man dazu behauptet, die Genötigten täten das freiwillig. Und ich behüteter Studi und die behüteten Journalist*innen glaubten das, weil wir auch freiwillig in jeden Bus steigen würden, der uns aus so einer Welt zu einem Ort mit warmen Duschen fährt. Und jetzt? Menschen klopfen von Innen gegen den Bus und die Türen bleiben geschlossen, verdammt. Das macht mich fertig. Wenn sie freie Menschen sind, dann ist das hier doch Menschenraub, oder? Kann das hier überhaupt legal sein? Ich weiß es nicht und ich werde sicherlich auch nicht versuchen, darüber jetzt mit dem Polizisten neben mir zu verhandeln. Lässt ihn das Klopfen möglicherweise auch zweifeln?

Ich laufe neben dem langsam fahrenden Bus her und bleibe in der Nähe des Mannes hinter der Scheibe. Er ist jetzt mein nächster Verwandter. In zehn Minuten wird unsere Verbindung wieder abgerissen sein. Immer wieder halten unsere Leute den Bus kurz auf. Manchmal bin auch ich dazwischen. Wir sind jetzt beim Görlitzer Bahnhof. Der Verkehr war nicht einmal gesperrt. Ein Auto steht sinnlos auf der Kreuzung und blockiert den Bus versehentlich. Die überforderte Fahrerin setzt zurück. Wir sind immer noch viel zu wenige und der Entführer-Bus gewinnt immer mehr Raum. An der Ecke gucken Leute Fußball. Die Polizei-Truppen verstärken sich. Sie passen auf, dass wir nicht vom Bus überfahren werden. Sie sichern sogar die Achsen des Fahrzeugs. Das ist schon irgendwie zuvorkommend. Ich nehme an, sie haben noch weniger Interesse als wir daran, dass hier ein Demonstrant schwer verletzt wird.

Mit anderen Demonstrant*innen flankiere ich den Bus von links. Wir laufen unter der U1-Trasse entlang. Unsere eigenwillige Karawane bewegt sich auf den Kotti zu. Wenn da nicht das totale Chaos herrscht, werden wir den Abtransport wohl nur noch minimal bremsen können. Ich klemme mich direkt hinter einen Polizisten, der sich intensiv mit seinem Head-Set unterhält. Was haben die vor? Er wirkt angespannt und fühlt sich wichtig. Wenn ich doch bloß Dienstgrade erkennen könnte… Verstehe ich, was er sagt? Ein Jugendlicher läuft zur Spitze und rempelt dabei den Beamten an. Das scheint ein Affront zu sein. Jedenfalls sprintet der wichtige Beamte sofort los, um den Rempler zu schnappen. In meinem Hirn läuft schon der Film, wie er den Jungen niederreißen wird. Andere Polizist*innen werden dazu stürmen. Sie werden auf ihn eintreten – denn ihr Kollege wird ja keinen Unschuldigen umgehauen haben.

Doch der Junge ist schnell. Er hat Glück. Der wichtige Beamte bleibt in einer Gruppe von Leuten hängen, denen er ungeschickt von hinten aufläuft. Haben sie ihn absichtlich abgedrängt? Ich glaube nicht. Die Wut des wichtigen Beamten richtet sich jetzt auf den Typen, an dem er stoppen musste. Er schiebt ihn nach rechts. Erst vielleicht, um links durchzukommen. Doch der Schub hält an, jetzt sind sie schon auf der Fahrbahn. Einen Meter von dem fahrenden Tross entfernt. Krass, das ist gefährlich! Der Polizist lässt nicht locker. Leute brüllen. Ist der Mann verrückt? Das Gespann ist jetzt zwischen den Autos. Der Demonstrant stürzt. Fuck! Die Zeit steht still. Alle Umstehenden bangen. Wie wird er landen? Sein Kopf senkt sich langsam in die Bahn eines Einsatzwagens. Angst. Sein Schädel geht einen halben Meter neben dem Wagen nieder. Knapp. Die Zeit läuft wieder schneller. Jetzt zerren ihn Polizisten schon wieder zur anderen Seite. Das hätte leicht tödlich enden können! Checkt das der wichtige Beamte überhaupt? Er muss es eigentlich wissen. Er hat gerade einen Menschen fast vor ein Auto geworfen.

„Sag mal, willst du, dass heute hier noch jemand stirbt?“, spreche ich den wichtigen Beamten an. Wie reagiert man auf so eine Frage? Er antwortet entschieden: „Ihr instrumentalisiert die Flüchtlinge hier. Wenn heute jemand stirbt, seid ihr schuld daran! Ihr missbraucht die Menschen in der Schule für eure Zwecke!“ Das mit dem Instrumentalisieren habe ich die letzten Wochen zu oft gehört: „Wie soll das denn meinen persönlichen Zwecken dienen? Gibt mir irgendwer ein Eis dafür, wenn die Leute hier Bleiberecht erhalten?“ Er antwortet nicht. Irgendwie will ich noch mehr sagen. Ich füge hinzu: „Und wenn du jemanden vor ein Auto wirfst, dann bin ich daran ganz sicher nicht Schuld!“ Nach Gesprächen scheint dem Beinahe-Mörder nicht zumute zu sein. Er formiert sich wieder mit seinen Kollegen. Will ich ihn noch nach seiner Dienstnummer fragen? Mir fehlt die Kraft für dieses Spiel. Mein Blick wandert wieder nach vorne zum Bus.

Der Bus ist schon hundert Meter von uns entfernt. Den stoppen wir nicht mehr. Auch meine Leute lassen vom Bus ab und sammeln sich, um in Richtung Schule zurückzukehren. Offenbar sind wir vollzählig. Der Busfahrer, der Refugee und die Scheibe sind weg. Ich werde sie nie wieder sehen. Ich wünsche ihnen das Beste. Den verrückten Polizisten werde ich vielleicht gleich wiedertreffen am Rande des Sperrgebiets. Hoffentlich hat er Feierabend, bevor er jemanden verletzt. In der Ferne sehe ich den Bus um die Ecke biegen.

[Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten am Rande der #Ohlauer-Räumung am 24. Juni 2014 in Kreuzberg. Das ehemalige Schulgebäude wurde im Zuge der Refugee-Proteste von Flüchtlingen besetzt.]

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Kapitalismus

24. Januar 2009 / 4 Kommentare

Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich eigentlich gegen den Kapitalismus habe. Jetzt weiß ich es: Ich will nicht tauschen!

Der Kapitalismus lehrt uns Tag für Tag vor allen Dingen eins: Wir sind austauschbar. Jeden Tag sehe ich in der S-Bahn die Leute in ihren Anzügen mit ihren Handys, die verkünden sollen: Ich bin besonders, ich bin wichtig, ich bin nicht austauschbar!

Für mich sind sie es damit umso mehr.

Freiheit liegt gerade darin, zu verstehen, dass man für andere vielleicht austauschbar sein mag, man sich selbst aber für nichts und niemanden in der Welt eintauschen würde.

Liebe, ferner, bedeutet zu erkennen, dass man auch andere Menschen und Dinge nicht austauschen möchte.

Darum ist sie dem Kapitalismus auch so völlig fremd, kann in ihm bestenfalls als naiv belächelt werden. Wer nicht bereit ist, andere zu tauschen – über Leichen zu gehen, wer nicht bereit ist, sich selbst zu tauschen gegen einen Lohn, der ist für den Kapitalismus wertlos. Denn Wert ist für ihn stets Tauschwert.

Dafür bin ich mir zu wertvoll, dafür ist mir jeder und jede andere zu wertvoll! Ich will nicht tauschen.

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Bildung in Zahlen

16. September 2008 / Kommentieren

Schuljahre, nach denen man die Kinder auf die verschieden
Schulformen aufteilt: 4 bis 6
Schüler, die nach der Einteilung in der siebten Klasse
auf Hauptschule, Realschule und Gymnasium
noch einmal zwischen den Schulformen wechseln,
in Prozent: 3
Davon Abstiege: 2 von 3
Anteil der Studienanfänger, die ohne Abitur nach
mehrjähriger Berufserfahrung eine Hochschule
besuchen, in Prozent: 0,6

Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss
im Jahr 2006, in Tausend: 76
Anteil der deutschen Jugendlichen mit Migrationshintergrund,
die ohne Abschluss bleiben, in Prozent:
17
Anteil der Berliner Jugendlichen mit Migrationshintergrund
ohne Abschluss, in Prozent: 25

Studienanfängerquote in Schweden, in Prozent: 76
Durchschnittliche Studienanfängerquote in OECDLändern,
in Prozent: 52
Zielmarke für die Studienanfängerquote in Deutschland,
in Prozent: 40
Tatsächliche Studienanfängerquote in Deutschland
2007, in Prozent: 37

Wartesemester für einen Studienplatz im Fach Psychologie
an der FU Berlin im aktuellen Wintersemester:
16
Wartesemester für einen Studienplatz im Fach Physik
an der FU Berlin im aktuellen Wintersemester:
0

Wahrscheinlichkeit, mit der ein Akademikerkind studiert,
in Prozent: 83
Wahrscheinlichkeit, mit der ein Nicht-Akademiker-
Kind studiert, in Prozent: 23

Die Zahlen stammen von der OECD und UNICEF,
aus dem Dritten Armuts- und Reichtumsbericht der
Bundesregierung und aus dem Deutschen Bildungsbericht
2008 im Auftrag der Kultusministerkonferenz.

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Mara, oder: Der Abgrund

23. Februar 2008 / 7 Kommentare

Die Bühne ist etwas höher als gewohnt. Auf der dem Zuschauerraum abgewandten Seite findet sich ein Spalt. Im Hintergrund eine Stadt bei Nacht. Man hört gelegentlich fern vorbeifahrende Autos, bellende Hunde, ein Radio, den Wind. Die Bühne ist in schwaches, lila-blaues Licht gehüllt; aus dem Abgrund strahlt kaltes, weißes Licht.

MARA tritt auf.

MARA: Lang ist es her, dass ich das letztes Mal hierher kam. Es war der Tag, an dem Tom mich verließ. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich oder ob er Schluss machte. [Kurze Pause.] Ich war sehr traurig, damals. Unsere Liebe war so wirklich. Dagegen ich und Jim heute… Es fühlt sich nicht richtig an. Liebt er mich ganz? Wir sind zusammen und doch bin ich allein. Allein in dieser Welt. Ganz allein. Ich verlor meinen Job, meinen Glauben und ich fürchte, bald werde ich auch Jim verlieren.

MARA fängt an zu schluchzen. Sie setzt sich auf die Kante zum Abgrund mit dem Rücken zum Publikum. Ihre Beine hängen in den Abgrund hinab.

JIM tritt auf. Er bewegt sich auf MARA zu.

JIM: Mara? Hey!
MARA: [unterdrückt das Schluchzen und schaut auf] Jim?
JIM: Was ist los? Ich habe nach dir gesucht.
MARA: Nun ja, ich gehe hier manchmal hin, wenn ich alleine sein will.
JIM: Soll ich gehen?
MARA: Nein, nein, bitte bleib! Setz‘ dich doch! [und schaut wieder hinab]

JIM setzt sich neben MARA und wartet.

MARA starrt weiter in den Abgrund.

JIM: Mara?
MARA: Jim?
JIM: Ist irgendwas?
MARA: Etwas läuft schief in meinem Leben. Ich glaube, es geht alles abwärts.
JIM: Oh, sag das nicht! Ja, es geht auf und ab im Leben – aber ich bleibe zuversichtlich.
MARA: Jim, was wenn ich mich entscheide, von hier zu gehen? Kämst du dann mit?
JIM: Na klar, ich lieb dich!
MARA: Also, wenn ich mich entscheide, in diesen Abgrund zu springen, folgst du mir dann? Folgst mir in den Tod?
JIM: Wie kommst du zu dem Gedanken? Ich will mit dir leben, nicht sterben!
MARA: Antworte!
JIM: Ich würde dich zuerst anflehen, es nicht zu tun.
MARA: Ok, und was, wenn ich dir sage, dass ich es definitiv tun werde?
JIM: Mara?
MARA: Wirst du mit mir springen?
JIM: Ähhm…
MARA: Liebst du mich, Jim?
JIM: Ja, na klar, aber…
MARA: Also wirst du mit mir springen?
JIM: Ich möchte nicht, dass du stirbst.
MARA: Du kannst es nicht verhindern. Ich werde springen. Du kannst hier bleiben oder mit mir kommen. Das ist es, das ist deine Wahl.
JIM: Was soll das, Mara?
MARA: Wenn du mich liebst, lässt du mich nicht alleine springen.
JIM: Ich will nicht, dass du springst. Ich will auch nicht, dass ich springe.
MARA: Ich springe. Du kannst hier stehen und zuschauen oder…
JIM: Ok, ich komme mit dir.
MARA: Danke, Jim, das bedeutet mir sehr viel. Wir lieben einander.
JIM: Wenn du mich liebst, warum folgst du dann nicht auch mir? Komm mit mir nach Haus‘! Trinken wir einen Tee.
MARA: Nein, wir zwei, wir werden es diese Nacht zu Ende bringen. Wir verlassen diese Welt. Auf zu einem besseren Platz! Eins in unserer Liebe.
JIM: Können wir das nicht auch lebendig in Liebe eins sein?
MARA: Nein, wir springen. Nimm meine Hand!

JIM nimmt ihre Hand.

MARA: Zehn. Neun. Acht. Sieben. Sechs.
JIM: Ich liebe dich, Mara.
MARA: Ich dich auch.
JIM und MARA: Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins.

JIM springt, MARA bleibt zurück

MARA: Er hat mich wirklich geliebt. Echt und Wirklich.

[Schwarz]

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Der Gefangene

21. August 2007 / 9 Kommentare

Man brachte B in eine Zelle. Der Wärter, der einzige Mensch, den B seit seiner Festnahme gesehen hatte, stand drei Meter hinter ihm. „Na, jetzt hopp! Rein da!“ B schaute zurück. „Nich mich ankiekn, rinn da! Los!“ B gehorchte und schritt gebückt durch die niedrige Tür in sein Verließ. „Ok, die Regeln sind einfach: Tagsüber wird gestanden, gelaufen oder gesessen, aber nicht gelehnt oder gar gelegen. Von neun bis sechs ist Nachtruhe. Dann wird im Bett geschlafen – aber so, dass ich Sie sehen kann! Kein Rumsporten, kein Singen, kein Lärmen, nichts Verdächtiges. Alles Weitere werden Sie schon sehen.“ Die Tür schlug laut zu, dann drehte sich der Schlüssel und der Riegel fiel. Das Zimmer, noch immer vom metallenen Widerhall durchdrungen, war gut zwei mal vier Meter groß und drei Meter hoch. Die eine Hälfte füllte ein hölzernes Bett. Auf der anderen Seite stand ein kleines Tischchen mit Hocker. Zur Tür hin fand sich eine Kloschüssel und ein Schränkchen. Gegenüber der Tür fiel graues Licht durch ein winziges Fenster, das keinen Blick hinaus ermöglichte. Hier sollte B nun vegetieren, bis er die Welt und die Welt ihn vergessen hätte.
Ganz angekommen war er noch nicht in der Zelle. Zu schnell waren die Ereignisse der letzten Tage, zu bizarr die plötzlichen Entwicklungen. Er hatte den falschen Leuten vertraut und die falschen Dinge gewagt. Auch wenn ihm das Risiko von Anfang an bewusst gewesen war, gerechnet hatte er niemals mit einem Scheitern seiner Pläne. Und jetzt, da seine Gegner ihn hatten, begriff er langsam und taub, das Spiel war verloren. B war gescheitert und er würde keine zweite Chance erhalten. Es gab kein Entkommen mehr, sein Schicksal stand fest. Die Maschinerie des Feindes hatte ihn und würde ihn mit Folter und Verhören zermahlen. Er seufzte. Schluchzte dann. Und bald fiel er auf die Knie und weinte. Warum war die Welt so zu ihm? Warum waren die Menschen so zu ihm? Er vergrub das Gesicht in seinen Händen, stechende Tränen quollen aus den Augen. Da donnerte es: „Ich habe gesagt sitzen oder stehen und immer gut sichtbar bleiben! Und jetzt finde ich Sie hier knien und laut winseln und das Gesicht bedecken! So wird das nischt, Freundchen!“ B blickte auf, die Sicht verschwommen von den Tränen. Durch eine Luke in der Tür sah er den Mund des Wärters. „Wird’s bald!“ B richtete sich auf. „Na geht doch!“ Und die Luke fuhr wieder zu. Lange würde er das nicht aushalten, verzweifelte B. Bald würde er schwach und verrückt in der Kälte der Zelle. Man würde ihn zum Verhör rufen und er würde alles gestehen und noch mehr und die Namen aller seiner Helfer.

Kurz darauf holte man B in der Morgendämmerung aus der Zelle. Der Wärter kommentierte Bs Zustand: „Wie Sie aussehen! Ganz grau und zerfetzt die Haare, ganz rot und klein die Augen. Wie die eines Schuldigen. Wohl die ganze Nacht geheult und Gott angeklagt? Hier, setzen Sie erstmal Ihre Brille auf, dann sehn Se wieder wie ein Mensch aus. Der Herr Oberverhörmeister will, dasse ordentlich aussehn, wenn Se vor ihn treten.“ B tat wie ihm geheißen und folgte dem Wärter stumm durch die leeren Gänge. Seelenlos reihte sich Tür an Tür. Hinter jeder saß wohl jemand, der Bs Schicksal ganz allein teilte. Wie viele mussten es sein? Dann kam eine Schleusentür, hinter ihr ein neuer Bereich. Dieser mutete tot an. Tot wie ein Bürokomplex in einer Behörde, der Geruch von Bodenreiniger lag in der Luft. Aus manchen Zimmern hörte B dumpf einsame Schreibmaschinenlaute. An einer Tür wie jeder anderen blieb der Wärter stehen, klopfte und öffnete. B trat ein. Danach schloss der Wärter von außen und es blieb eine angespannte Stille im Raum zurück. Das Zimmer war klein und kahl. In ihm standen nur zwei Stühle, dazwischen ein Tisch mit säuberlichen Aktenstapeln und einem Aufnahmegerät. An der B fernen Seite schrieb ein hagerer Herr in eine Mappe. Genau konnte B den Mann nicht erkennen, denn dieser saß vor dem Fenster. Man sah von ihm nicht mehr als einen dunklen Umriss vor der hellen Wand fahlen Lichts. Von der Ankunft des Gefangenen zeigte er sich wenig beeindruckt. Sein Stift kratzte unbeirrt übers Papier. Verloren kam B sich vor in dem trostlos grauen Raum. Der Herr beendete sein Schreiben, legte den Stift beiseite, schloss die Mappe und blickte auf. „Herr B, nehme ich an. Ich bin Oberverhörmeister Mühler. Setzen Sie sich.“ Während B sich auf dem Stuhl niederließ, nahm Herr Mühler eine Aktenmappe von einem bedrohlich hohen Stapel, öffnete sie und blätterte etwas. „Sie wissen, warum Sie hier sind.“ – „Ich werde Ihnen nichts sagen.“ – „Aber Herr B, wir wollen mal keine voreiligen Antworten geben. Nun gut, wenn Sie nicht reden wollen, tue ich das eben für Sie. Sie haben sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht. Welche genau dies sind, werden die folgenden Sitzungen zeigen. Ich habe Ihnen hier schon einmal ihr Geständnis vorbereitet, das Sie nur unterzeichnen müssen. Es enthält bereits alle Punkte, in denen ich von Ihrer Schuld überzeugt bin.“ B nahm das Papier und überflog es, schaute auf und bemerkte: „Wenn man so liest, was Sie mir hier alles vorwerfen, könnte man meinen, ich wäre der Teufel persönlich.“ – „Nun können wir des Teufels jedoch nicht habhaft werden. Sie hingegen sitzen hier vor mir und müssen sich für Ihre Taten verantworten.“ – „Aber, aber ich habe das alles nicht getan, was Sie mir vorwerfen.“ – „Das werden die Verhöre zeigen. Ich werde weitere Akten zu Ihnen anfordern und studieren. Bis dahin kehren Sie in Ihre Zelle zurück.“ Der Oberverhörmeister drückte auf einen kleinen Knopf in seinem Tisch, aber B hatte noch eine Frage: „Wie lange wird der Prozess dauern?“ „Das kann man nie wissen. Das hängt davon ab, wie kooperativ Sie sich zeigen. Wir sehen uns schon bald wieder. Guten Tag noch.“

Zurück in der Zelle versuchte B, seine Gedanken zu ordnen. Es war schon hell geworden und Schlaf würde ihm der Wärter um diese Zeit ohnehin nicht gewähren. Er verfiel in Grübeleien über seine Situation. Das war nicht sehr ergiebig. B schaute sich um. Es musste doch einen Ausweg geben aus diesem schäbigen Loch, in dem er saß. Doch er war nur von Trostlosigkeit umgeben, die aber zumindest Abwechslung versprach von den wiederkehrenden, mechanischen Gedanken über die ungewisse, wenn auch scheinbar vorgeschriebene Zukunft. Zunächst begann er mit dem Betrachten der Wände. Sie waren in einem sehr hellen Vanilleton gehalten. Die Farbe bröckelte stellenweise und war von Rissen durchzogen, unter denen der weiße Putz zum Vorschein kam. B fing in einer Ecke an und schritt langsam den Raum ab, fuhr mit dem Finger über die kleinen Unebenheiten der Mauer. Stunden verbrachte er damit, erstellte eine Karte der Wand in seinem Kopf. Und jeder neue kleine Riss, den er entdeckte, jedes weitere Detail versetzte ihn in helle Freude. So ging er von Seite zu Seite, betrachtete die Gesichter und Bilder, die ihm die Maler hier unwissend in zufälligen Formen hinterlassen hatten. Gelegentlich wurde B vom Wärter gestört, der Essen brachte und keine Widerrede duldete. B schlang es herunter und kehrte zur Wand zurück. Er konnte kaum von ihr ablassen, doch gab es noch so viel zu entdecken. Stuhl, Tisch, Schrank, Klo, Bett, Tür, dem allen hatte er noch keine Aufmerksamkeit geschenkt und wehmütig musste er zu ihnen übergehen, als ihm die Wand fürs Erste hinreichend betrachtet schien. So arbeitete B sich nach und nach durch die Zelle, immer wieder in große Aufregung versetzt, wenn er zu einem neuen Gegenstand überging. Er hatte seine Lebensaufgabe und Kunst gefunden: dieses Zimmer in sich Aufsaugen. Des Nachts war B vom Wärter gezwungen, ins Bett zu gehen. Doch schlief er nicht, sondern studierte die Decke und die Form der Dinge im neuen Licht der Nacht. Er wusste, nicht zu schlafen, war gefährlich, doch durfte er keine Zeit verlieren. Jederzeit könnte der Wärter kommen und ihn zum Verhör holen – oder schlimmer, ihn in eine neue Zelle bringen. Diese Aussicht beunruhigte B, denn er wollte nicht die Zelle aufgeben, die seine geworden war. Er war Teil der Zelle und die Zelle war Teil von ihm. Er durfte sich nicht von ihr losreißen lassen, sie beide waren doch eins. Andererseits war B neugierig, auch weitere Zellen und den Verhörraum zu erforschen – aber niemals um den Preis, seine kleine Welt herzugeben!
Dann kam die Nacht eines erneuten Verhörs. Der Wärter schritt den Gang entlang, um B zu holen. Normalerweise pflegte man, Gefangene Tag für Tag zu verhören, um sie in Unruhe zu halten. Aber wollte man bei B eine neue Verhörtechnik versuchen: die der einsamen Ungewissheit. Und bisher hatte dies ausgezeichnet funktioniert. Von selbst hatte er keine Ruhe gefunden, sondern war verwirrt durchs Zimmer gekrochen, mit den Augen direkt über der Wand nach irgendetwas suchend. Ganz kurzsichtig musste man davon werden, dachte sich der Wärter und blickte durch den Türspion in die Zelle. Seltsamerweise sah er nur schwarz. Na sowas, funktionierte das Licht nicht? Oder hatte der Gefangene es gewagt, das Guckloch abzudecken? Der Wärter forderte Verstärkung an und öffnete die Tür vorsichtig. Doch mit dem, was er sah, hatte er nicht gerechnet. Das war ihm in seiner ganzen Dienstzeit noch nicht passiert. Der Gefangene war weg. Und nicht nur er. Mit ihm war die gesamte Zelle verschwunden. Der Tisch, der Hocker, das Bett, der Schrank, das Klo, ja sogar die Innenseite der Tür und der Putz von den Wänden, alles hatte sich in nichts aufgelöst. Das den Vorgesetzen zu erklären, dürfte eine komplizierte Angelegenheit werden.

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