In den letzten Tagen denke ich wieder häufiger an das Wintersemester 2012/13 zurück. Die TU Berlin hatte den Numerus Clausus für den Informatik-Bachelor aufgehoben und das Modul, in dem ich Tutor war, quoll über.
2012
Ich sollte auf einer 40-Stunden-Stelle Erstis in die Grundlagen der funktionalen Programmierung einführen. Da das Modul so voll war, umfasste das etwas mehr als in den anderen Jahren, nämlich:
- 4–5 Stunden am Montag. 2 Tutorien zu 90 Minuten plus Raum vor/nachbereiten, Fragen beantworten etc.
- 2 Stunden am Mittwoch. Gruppenbesprechung.
- 4–6 Stunden am Sonntag. Jede Woche 2 × rund 15 Einzelabgaben korrigieren und feedbacken; später im Semester Gruppen-Abgaben, dafür zu komplexeren Aufgaben; dazu Inhalte für Montag vorbereiten.
- Zwischendrin 1–2 Stunden im Moodle-Forum oder per Mail Fragen von Teilnehmer*innen beantworten.
Dazu kamen:
- Im Semesterverlauf waren noch drei kleine Tests und zwei sehr große Tests („Klausuren“) probezuschreiben, zu beaufsichtigen und zu korrigieren.
- Alle Tutor*innen erstellten Aufgabenblätter mit; das waren für mich noch drei Wochen mit ein paar Extra-Stunden. (In diesem Semester haben wir aber wegen der Überlast nicht so viel Liebe in die Blätter gesteckt wie sonst.)
- Gelegentlich mal eine betreute Rechnerzeit / Sprechstunde unterstützen.<fn>Es gab auch Kolleg*innen, die jede Woche drei Stunden betreute Rechnerzeit geben und dafür nur ein Tutorium durchführen mussten.</fn>
Wenn ihr das so durchrechnet, kommt ihr dahin, dass ich im Semester regelmäßig 11–15 Stunden pro Woche gearbeitet habe. Aber nur für 9,2 Stunden pro Woche bezahlt wurde.
Und bezahlt wurde ich nicht mal sonderlich gut: 10,98 Euro pro „Stunde“ nach TV Stud II, durch die unbezahlten Überstunden also effektiv um die 8 Euro. Kein sehr attraktiver Stundenlohn für jemanden mit zu dem Zeitpunkt 11 Jahren Programmier-Praxis, 2,5 Jahren Erfahrung auf der Stelle und einem fast abgeschlossenen Informatik-Bachelor. Ich will jetzt nicht sagen, dass man all diese Qualifikationen unbedingt brauchte für den Job. Doch ist es sowohl fachlich als auch didaktisch nicht ganz ohne, Erstis mit sehr diversem Vorwissen funktionale Programmierung und Algorithmik überzuhelfen.
Für mich war das auf einer bestimmten Ebene trotzdem okay. Ich habe in meinem Leben eh schon hunderte Stunden unbezahlt in Programmierforen und co Leuten mit Informatik-Kram geholfen. Und Tutorien zu geben hat mir auch immer hart viel Spaß bereitet.
Wessen Erfolge?
Aber ich sehe ja auch das größere Bild: Durch die Überbuchung der Veranstaltungen, konnte die TU Berlin sehr viele Menschen im ersten Hochschulsemester aufnehmen. Damit konnte sie ihre sogenannte Halteverpflichtung aus den Hochschulverträgen in Verbindung mit dem Hochschulpakt halbwegs erfüllen und hat hundertausende Euros extra dafür erhalten.<fn>Für die individuellen Studienanfänger*innen mag das besonders ungünstig gewesen sein, weil die Uni mehr Leute aufnahm, als sie zum Abschluss führen kann, und entsprechend mehr Leute auf der Strecke bleiben. Aber was soll man machen: Die Politik hat hier einfach ein Anreizsystem dafür geschaffen, möglichst viele Leute für eine Erstimmatrikulation anzulocken und dann schnell wieder abzuschrecken. Wer nicht finanziell verdursten will, muss den Unsinn umsetzen.</fn>
Dass der Haushalt der Uni bei permanenter „Effizienzsteigerung“ nicht implodiert ist, liegt letztlich an Leuten wie Lehrbeauftragten, Privatdozent*innen und uns Tutor*innen, die aus Hobby oder was-weiß-ich relevante Teile der notwendigen Lehre stemmen, aber wenig kosten.<fn>Und an Wikipedia und YouTube-Erklärvideos, die die Mängel im Lehrangebot kompensieren.</fn> Der ausgeglichene Haushalt der Uni ist am Ende des Tages eben auch mein unausgeglichener privater Haushalt.
Den Fame für das Funktionieren des Ladens trotz Überlast eignen sich aber Hochschulmanager*innen und Profs an. Und sie wandeln das ganz selbstverständlich in individuelle materielle Vorteile für sich um. 2015 waren alle ganz fix, die Prof-Besoldung drastisch zu erhöhen. Und Kanzlerin Gutheil hat die TU so toll gemanaget, dass ein lukrativer Staatssekretär*innen-Posten in Brandenburg heraussprang.
Ich gönne denen das durchaus. Nur denke ich, wäre es langsam an der Zeit, auch den studentischen Beschäftigten mal wieder was zu gönnen.
Hinhalte-Verhandlungen
Und theoretisch ist das auch Konsens. 2011 haben sich die Hochschulen vertraglich dazu verpflichtet, „unverzüglich“ einen neuen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TV Stud) zu verhandeln. Komischerweise ist es bis heute nicht zu einem Abschluss gekommen. Denn für die Entscheidungsträger*innen in den Hochschulen war es natürlich hyper-praktisch, dass unser Lohn nicht stieg. Und sie konnten sich immer auf die Leitungen der anderen Hochschulen herausreden. Fast meine gesamte Zeit als studentischer Beschäftigter verfolge ich jetzt die Hinhaltetaktik der Hochschulen. Eine Lohnerhöhung habe ich in den sechs Jahren noch nie gesehen.
Letzte Woche durfte ich miterleben, wie einige der Verantwortlichen aus den Hochschulleitungen bei den Verhandlungen für einen neuen TV Stud 2 % Erhöhung vorschlugen, dann „sogar“ auf 4 % gingen, also effektiv 44 Cent mehr pro Stunde. Nach 16 Jahren Lohnstillstand und 6 Jahren Hinhaltetaktik ist das natürlich ein recht dünner Vorschlag – erst recht wenn er aus dem Mund eines Beamten kommt, dessen Besoldungsgruppe sich darüber ärgert, dass sie in denselben 16 Jahren in Berlin nur 29 % Entgelterhöhung verzeichnen konnte.
Ich habe das fette „Fuck you!“, das die Hochschulleitungen damit uns studentischen Beschäftigten und unserem Beitrag zum Unibetrieb ausgesprochen haben, jedenfalls zur Kenntnis genommen. Ich denke, man muss in der gebotenen Höflichkeit antworten.
Update: Die Hochschulleitungen haben nochmal nachgetreten. Bei der Tarifverhandlung am 16. Mai 2017 lehnten sie alle Kompromissvorschläge ab und entwickelten keine eigenen Angebote.
TVStud: Drei Jahre Arbeitskampf (Teil I: Aufbruch, Situation, Bewusstsein) « mrkeks.net
[…] musste es ja wissen – immerhin hatte ich 2010 bis 2014 an der TU als Tutor gearbeitet und keine Tutor*innen kennengelernt, die Lohnerhöhungen am eigenen Leib gespürt hätten. Ich […]
TVStud-Arbeitskampf: Aktion, Eskalation, Wirkung « mrkeks.net
[…] seit Jahren die Löhne nicht erhöht, eigentlich Luft dazu in der Haushaltsentwicklung hätte und in einigen Bereichen nur schwer an qualifiziertes Personal kommt, würde man als vernünftige Arbeitgeberin ja vielleicht auch ohne gewerkschaftliche Intervention […]