Ich habe ein Kapitel über die Wirkungsebenen der TVStud-Kampagne zum Buch „Ohne uns läuft hier nix! – Der Arbeitskampf der studentischen Beschäftigten in Berlin“ beigesteuert. Hier dokumentiere ich meinen Beitrag mit zusätzlichen Links und Bildern. Nicht zuletzt wegen der vielen coolen anderen Beiträge lohnt es sich natürlich trotzdem, das ganze Buch zu kaufen. (Ich signiere es euch gerne! ;))
Drei Jahre mussten wir die Hochschulen auf verschiedenen Ebenen bearbeiten, um zumindest Teile unserer eigentlich ganz vernünftigen Forderungen durchzusetzen. Wir haben Bühnen geentert, uns Räume genommen und im Streik viel Arbeit liegen gelassen. Dieses Kapitel stellt einige unserer Aktionsformen entlang ihrer Wirkungsebenen vor.
Rational kämpfen
Jede Auseinandersetzung hat ihre ökonomische Seite. Die Beteiligten verfügen einerseits über Dinge, mit denen sie haushalten müssen, und andererseits über Wege, den Haushalt der anderen durcheinander zu wirbeln. Die Hoffnung in einem Arbeitskampf ist, dass es für die andere Seite rationaler erscheint, Zugeständnisse zu machen als einer weiteren Eskalation des Konfliktes ins Auge zu sehen. Unsere Aktionen sollten vor diesem Grund-Setting gesehen werden.
Unser Kampf stand unter dem ungünstigen Stern, dass die Hochschulen vordergründig kein besonders rationales Verhältnis zu den studentischen Beschäftigungsbedingungen pflegten. Einerseits spart günstige und prekäre (studentische) Beschäftigung selbstverständlich eine Menge Geld und ist insofern für jede*n Arbeitgeber*in attraktiv. Wenn man aber andererseits seit Jahren die Löhne nicht erhöht, eigentlich Luft dazu in der Haushaltsentwicklung hätte und in einigen Bereichen nur schwer an qualifiziertes Personal kommt, würde man als vernünftige Arbeitgeberin ja vielleicht auch ohne gewerkschaftliche Intervention ein paar Zugeständnisse an die Mitarbeiter*innen machen. Stattdessen wollten die Hochschulleitungen sich ausgerechnet an der billigsten Beschäftigtengruppe gesundsparen. Dabei machen die studentischen Löhne nur einen Bruchteil des Haushalts aus.
Die Verweigerungshaltung der Hochschulen hatte mehr mit Psychologie und Gruppendynamik der Führungsetagen als mit Wirtschaftlichkeit zu tun. Unsere Aktionen konnten sich also nicht nur auf den Entzug von Arbeitskraft in Lehre und Forschung (aka Streik) stützen. Wir mussten auch weitere Dimensionen bedienen:
- In der öffentlichen Wahrnehmung hatten wir einerseits der Meinung einiger Leitungsbürokrat*innen zu begegnen, dass Studierende froh sein sollten, überhaupt bezahlt zu werden.
- Die Landespolitik mussten wir andererseits einbeziehen, um die Gruppendynamik der Hochschulleitungen in unserem Sinne zu kippen.
Ich will hier diese drei verzahnten externen Zieldimensionen – wirtschaftliche Störung, Öffentlichkeit und Politik – anhand unserer Aktionen vorstellen und danach die interne Wirkungsrichtung andiskutieren.
Wirtschaft: Streik und Störung
Die 2018er Streiks und auch die zeitliche Entgrenzung der Streikphasen waren das zentrale Element unseres Kampfes. Doch konnte der Arbeitskraftentzug die Leitungen der Verwaltungen und Personalabteilungen als unsere unmittelbaren Tarifverhandlungspartner*innen kaum direkt beeindrucken. Diese haben selbst ein entfremdetes Verhältnis (oder gar keins?) dazu, ob die Hochschulen funktionieren. So blieb der Druck zuerst einmal bei unseren direkten Vorgesetzten wie Professor*innen, WiMis und Abteilungsleitungen sowie selbstverständlich bei den anderen Studierenden hängen. Ein typisches Problem des Dienstleistungssektors.
Wir mussten Aktionen finden, die den Verwaltungen wirklich auf die Nerven gehen oder die Präsidien und Rektorate ins Getümmel einbeziehen. Das will ich mit einer Anekdote vom ersten Streiktag illustrieren.
Am 16. Januar 2018 streikten wir an der TU Berlin das erste Mal. Ein Streikfrühstück in einem Foyer sollte Streikbrecher*innen und tutoriumslos umherirrende Studis erreichen. Doch unser Streikposten blieb einsam. Weil so viel ausfiel und so viele Arbeitsräume dicht blieben, waren kaum Studis auf dem Campus! Unser Streik hatte den kommunikativen Raum Uni geschlossen, den wir eigentlich an diesem Tag erobern wollten.
Einer kleinen Gruppe fiel der Streik nicht auf: der Unileitung. Diese rechnete uns später vor, nur niedrige einstellige Prozentzahlen hätten an diesem Tag gestreikt. In den Büchern der Hochschulbürokrat*innen existierten nur die Kolleg*innen, bei denen die Arbeitsstellen sich explizit die Mühe gemacht hatten, diese streikend zu melden. Man konnte einsam durch die Uni laufen; tausende Studierende und viele nicht-studentische Kolleg*innen waren vom Streik betroffen. Doch aus Sicht der zentralen Verwaltung waren sie egal.
Um dieser entkoppelten Verwaltungsrealität beizukommen, haben wir die Streikfolgen selbst detailliert und systematisch erfasst. Zudem haben wir Betroffene ermutigt, sich direkt bei der Leitung zu beschweren. Tutor*innen informierten ihre Studierenden in Großtutorien im offenen und repräsentativen TU-Lichthof über den Streik. Streik dient nicht nur dazu, dass Arbeit liegen bleibt, sondern dass wir alle mehr Zeit haben, bestimmten anderen Leuten Arbeit zu machen – diese Zeit wollten wir natürlich produktiv nutzen. Einige Aktionen waren milde Formen der Sabotage, beispielsweise wenn Bücher in einer Bibliothek umsortiert oder Veranstaltungen gestört wurden. In den Hochphasen des Streiks war die wichtigste knappe Ressource, die wir den Hochschulen abgraben wollten, die Arbeitszeit (und die Nerven) der Leitungsebenen. Dafür hatten wir schon vor dem Streik gut trainiert.
Öffentliche Wahrnehmung: Bühnen und Eskalationen
Aktionen auf den Campi spielten eine große Rolle dabei, die zersplitterte Hochschulöffentlichkeit zu erreichen, auch wenn sie uns noch nicht im Netz folgten. Diese Aktionen richteten sich nicht primär an die breite Öffentlichkeit.
Nachdem wir ab 2016 mit Infoständen, Umfragen und Organisierungskampagne bereits eine Basis unter den studentischen Beschäftigten gelegt hatten, arbeiteten wir uns ab Mai 2017 aktionistischer ins Hochschulbewusstsein vor. Als erste größere Aktion zogen wir 2017 mit hundert Personen vors FU-Rektorat. Das hat Überwindung gekostet, aber die Grundlage gelegt für alles, was folgte.
So enterten wir im Juni 2017 reihenweise die Bühnen von repräsentativen Hochschulveranstaltungen. ASH-Rektor Uwe Bettig begegnete kritischen Studis beim Hochschultag. TU-Präsident Christian Thomsen erlebte überraschend eine Diskussion mit uns anstelle seiner Eröffnungsrede zum MINT-Gipfel im Audimax. Der neue TU-Kanzler Mathias Neukirchen lernte uns gleich am Tag seiner Wahl kennen, wodurch die betreffende Kuratoriumssitzung etwas länger dauerte. HU-Präsidentin Sabine Kunst nutzte etwas unfreiwillig mit uns gemeinsam den Festakt zum 250. Geburtstag Wilhelm von Humboldts, um auf der Bühne ausgiebig über Beschäftigungsbedingungen zu diskutieren. Während der Langen Nacht der Wissenschaften 2017 blockierten wir symbolisch das Grimmzentrum (Bibliothek der HU) und beehrten Wissenschaftssenator (und Bürgermeister) Michael Müller bei der Eröffnung im FU-Audimax.
Auf den geenterten Veranstaltungen traute sich niemand so recht, unseren Forderungen zu widersprechen – vielleicht in der Hoffnung, uns damit schneller von der Bühne komplimentieren zu können. So durften wir die Grunderzählung bestimmen: „15+x Jahre ohne Lohnerhöhung für Leute, die hier viel Lehre und Forschung stemmen – da muss doch auch mal was für uns drin sein, nicht nur beim Lohn!”
Eigentlich haben wir uns gewünscht, dass die Sommeraktionen 2017 den Hochschulleitungen als Drohung genügen: „Einigt euch doch einfach mit uns, statt ein Jahr bei jeder eurer Selbstinszenierungsveranstaltungen mit uns rechnen zu müssen!“ Das ist nicht gelungen. Die Drohung verfing bloß insofern, dass die TU direkt die Polizei gegen unsere nächste Kundgebung rief (Queen’s Lecture 2017), anstatt das Gespräch mit uns zu suchen. Aber gerade Negativreaktionen waren kampagnentechnisch wertvoll und haben die Wand aus folgenloser Verständigkeit erschüttert, die die Hochschulpolitik gegen uns errichtet hatte.
In denjenigen Medien, die sich für unsere Sache interessierten, waren wir recht hegemonial. Nur vereinzelt stellte man unsere Anliegen in Frage. Wenn es jemand tat, machte er*sie eine eher schlechte Figur, zum Beispiel FU-Kanzlerin Andrea Bör, die sich im rbb-Kulturradio-Interview im Juni 2018 zu einer bizarren Lehrjahre-sind-keine-Herrenjahre-Argumentation verstieg.
Besonders im Social-Media-Bereich konnten wir unsere Deutung der Ereignisse verteidigen. Als die TU-Pressestelle im Juni 2018 zum PR-Gegenschlag gegen die Audimax-Besetzung ausholte, gab’s angemessenen Facebook-Gegenwind von unseren Unterstützer*innen. Ein Kommentarbereich ist ja auch irgendwie eine Kundgebung. Dafür hatten wir mit niedrigschwelligen Aktivitäten wie Solidaritätslisten und Trag-dich-doch-mal-in-die-Gruppe-ein-Aufrufen vorgearbeitet.
Um in der öffentlichen Wahrnehmung präsent zu sein, muss man traurigerweise immer etwas weiter eskalieren. Besonders um den Drive für den finalen „Megastreik“ im Juni 2018 aufzubringen, mussten wir beständig nachlegen. Die Eskalationen waren manchmal kalkuliert, aber durch den ewigen Vorlauf auch einfach natürlich. Die Gegenseite hatte unsere Deeskalationsangebote ausgeschlagen und teils mit Spott und eigener Eskalation beantwortet.
Beispielsweise waren wir bei der Langen Nacht der Wissenschaften 2017 freundlich und knuffig. Als wir ein Jahr später wiederkamen, mussten wir, so Leid es uns tat, Auftakt- und Abschlussveranstaltung mit je über 1000 Besucher*innen sprengen. Eskalative Aktionen polarisieren. Aber Leute verstehen auch, dass man nach einem Jahr Verhandlungslimbo weniger freundlich wiederkommt. Hingegen fiel es hoffentlich schwer, nachzuvollziehen, warum die Hochschulen nicht irgendwo die paar Promille im Haushalt für unsere Lohnaufwüchse finden sollten.
Einer ähnlichen Eskalationslogik folgte die TU-Audimax-Besetzung. Unsere dritte Demo, die vor dem TU-Hauptgebäude endete, musste selbstverständlich etwas weiter gehen als die vorherigen. Dank der Besetzung waren wir für die Medien und das Campusgespräch auch nach 25 Streiktagen noch einmal relevant. Noch interessanter war freilich, dass das TU-Präsidium die Besetzung räumen ließ, nachdem diese ein deeskalatives Einigungsangebot übermittelt hatte – ein Negativ-PR-Coup, der noch einmal aktivistischen Aufwind für die finalen Tage des Streiks gab.
Politische Hebel: Problemkinder und Partner*innen
Die Eskalationslogik diente unter anderem dazu, die Politik mit ins Boot zu holen. Denn mit der Zeit merkten wir, dass es ohne Ordnungsrufe des Senats mit den Berliner Hochschulen keine Einigung geben würde.
Da Politiker*innen sich gerne in der Lösung von Problemen profilieren, mussten wir selbst zum Problem werden. Aus irgendeinem Grund qualifizierten unsere morschen Arbeitsbedingungen nicht per se als attraktives politisches Problem.
Eigentlich hatten wir schon 2016 Kontakt zur Landespolitik aufgebaut und sogar Bekenntnisse zu einem besseren TVStud in Wahlprogramme und Koalitionsvertrag bekommen. Das hatten wir mit kleinen Aktionen zu Parteitagen und Koalitionsverhandlungen vorangetrieben. Später blieb es wichtig, uns immer wieder auf den Radar der Berliner Politik zu setzen.
Die Eskalation von Streik und Störung im Sommer 2018 erzeugte eine Situation, in der der Wissenschaftssenat intervenieren musste, um bleibende Schäden vom Lehr- und Forschungsbetrieb in Berlin und vom Image der Stadt als „Brain City“ abzuwenden. Diese Wendung war ein wichtiger Faktor für unseren Abschluss. Von alleine ließen sich die Berliner Hochschulen auf keinen Kompromiss ein. Selbst ab dem Senatseingriff dauerte es zwei Wochen, bis sich die Hochschulen Ende Juni 2018 auf den eigentlich schon im Mai fast erreichten Kompromiss einließen. In diesen Wochen mussten wir Durchhaltevermögen beweisen und unsere Aktionen fortsetzen, damit die politische Ebene begriff, dass die Kuh noch nicht vom Eis war. Das bringt uns zum letzten Punkt.
Auf Ausdauer orientierte Aktionen: Räume und Regeneration
Wenn man zu Demonstrationen aufruft, dann spricht und denkt man oft in externen Zielen: „Wir wollen X zeigen, dass Y!“ Aber die nach innen gerichtete Wirkung ist mindestens ebenso wichtig: Es geht nicht nur darum, wie Passant*innen und Medienleute, die Demonstration sehen, sondern um das Erlebnis der Demonstrierenden selbst.
Was unsere Kampagne ausgezeichnet hat, war unser langer Atem. Mal auf eine Bühne stürmen, kann ja im Prinzip jede*r. Aber dass wir eine studentische(!) Kampagne prekär Beschäftigter für drei Jahre am Brodeln hielten und immer wieder unsere Reihen regenerierten, darauf können wir stolz sein.
Die Rahmenbedingungen und strategische Entscheidungen (Kündigung des Tarifvertrags erst Ende 2017) sorgten dafür, dass uns bestimmte Formen wie Streik erst später zur Verfügung standen. Die Verzögerungen, die dadurch bei der Eskalation der Kampagne entstanden, waren einerseits eine Belastung. Andererseits spielten die Aktionen, mit denen wir diese Phase gestalteten, eine wichtige Rolle für Selbsterhaltung und Wachstum. Hier konnten wir Ungehorsam trainieren; eine Gemeinschaft entwickeln; neue Leute integrieren; unsere Positionen in größeren Gruppen abgleichen; zusammen Wut entwickeln, indem man sich in einem Gremium von Hochschulfunktionären gemeinsam unfair behandeln lässt; und auch Kräfte regenerieren in hedonistischeren Veranstaltungen. Manche Aktionen dienten ganz direkt dazu, uns Platz und Ressourcen zu nehmen. Etwa wenn Streikbüros aus studentischen Räumen auf universitäre Flächen zogen und schließlich Hörsäle angeeignet wurden; oder wenn wir universitäre Veranstaltungen als Plattformen nutzten.
In diesem Sinne war die wichtigste Wirkung der meisten Aktionsformen, dass sie einen Raum schufen, in dem tausende verstreute teilzeitbefristete Studierende gemeinsam vierzig Streiktage durchkämpfen konnten.