Gerade knirscht es an den Berliner Hochschulen, weil die Hochschulleitungen nicht mehr (wie bisher) ca. 2000 Studierende tariflich und befristungsrechtlich falsch eingruppiert beschäftigen wollen. Ich raufe mir regelmäßig die Haare, weil verschiedene Akteure die Rechtslage einfach nicht checken, zum Beispiel der Kanzler der TU Berlin, mehrere betroffene Beschäftigte und selbst mein geliebter Deutschlandfunk. (Die HU-Leitung erzählt auch Blödsinn, aber das ist vermutlich Absicht, um davon abzulenken, dass die Hochschulleitungen die Situation selbst herbeigeführt haben.) Darum präsentiere ich hier in schmerzhaftem Detailgrad die Rechtslage, an der die Personalabteilungen knabbern, und die Lösungsszenarien.
I. Rechtslage
Nicht-wissenschaftlich tätige studentsiche Beschäftigte können eigentlich nicht nach TV Stud eingruppiert und nach Wissenschaftszeitvertragsgestz befristet werden, wie auch des Landesarbeitsgerichts am 5. Juni 2018 sehr ausführlich urteilte. Studentische Beschäftigte, die keine studentischen Beschäftigten sind?! Das klingt verwirrend und hat damit zu tun, dass es verschiedene Begriffe von studentischen Beschäftigten und Hilfskräften gibt und die Hochschulen diese auch noch liberaler auslegen als die Gerichte.
Der Begriff der studentischen Hilfskräfte aus dem § 121 Berliner Hochschulgesetz (Landesgesetz) korrespondiert ungefähr zu dem der studentischen Hilfskräfte im Sinne des § 1 Abs. 3 des TV-L (ziemlich bundesweit abgeschlossener Tarifvertrag für die meisten hauptamtlichen Hochschulbeschäftigten). Prinzipiell sind Einzelfälle außerhalb der begrifllichen Schnittmenge denkbar, aber wohl nicht so relevant. Der TV-L nutzt seinen Begriff der studentischen Hilfskrfäte, um zu bestimmen, dass er für diese nicht gilt. Darum fallen Studis in den anderen Bundesländern durchs Tarifraster. Allerdings geht die Rechtsprechung dahin, dass „studentische Hilfskräfte“ im Sinne des TV-L in ihrer Tätigkeit etwas mit Wissenschaft zu tun haben müssen. Studierende, die für Verwaltungsaufgaben und dergleichen an öffentlichen Hochschulen angestellt sind, gehören also doch in den TV-L!
Zweitens können Hochschulen Studierende durch § 6 Wissenschaftszeitvertragsgeset
Drittens bezieht § 5 des Berliner Personalvertretungsgesetz die Zuständigkeitsbereiche der Personalräte aus dem § 121 BerlHG. Demnach ist für nicht-wissenschaftliche studentische Beschäftigte der allgemeine und nicht der studentische Personalrat der jeweiligen Hochschule zuständig! An der HU Berlin knirscht es jetzt, weil der studentische Personalrat sich an seinen Zuständigkeitsbereich hält und die Uni-Leitung sich weigert, nicht-wissenschaftliche studentische Beschäftigte entsprechend der Rechtslage über den allgemeinen Personalrat einzustellen.
Viertens gibt es noch studentische Beschäftigte im Sinne des „Werkstudierendenprivilegs“ aus dem Sozialversicherungsrecht. Dieser Begriff ist für die meisten Studis deutlich weiter als die vorgenannten Begriffe und nicht an wissenschaftliche Tätigkeit gebunden. Das bedeutet, dass auch für Studierende, die nicht-wissenschaftlich beschäftigt werden, kaum Sozialabgaben (aus Uni-Sicht: Lohnnebenkosten) anfallen. Denn sie haben keine Arbeitslosenversicherung und müssen ihre Krankenversicherung selbst zahlen. Ein TV-L-E4-Studi kommt die Uni also billiger als ein TV-L-E4-Normal-Arbeitnehmer.
II. Klage-Risiken für die Hochschulen (bzw. Chancen für die Angestellten)
Der Rechtslage zum Trotz ist es (nicht nur in Berlin) gängige Praxis, Studierende auch ohne wissenschaftliches Tätigkeitsprofil gemäß WissZeitVG und außerhalb des TV-L zu beschäftigen. Den Personalabteilungen der Hochschulen ist schon sehr lange klar, dass diese Praxis nicht auf dem Boden der Gesetze und Tarifverträge steht.
Für einzelne bedeutet das, dass sie sich in den TV-L und die Entfristung einklagen können. In den letzten Jahren haben die FAU Jena und die GEW Berlin ein paar erfolgreiche Klagen dazu geführt. Es weist nichts darauf hin, dass das ein Massenphänomen wird. Die gelegentliche Klage, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Vergleich oder Klageerfolg und Auflösungsvertrag führt, wäre wohl verkraftbar.
Die Attraktivität der TV-L-Einklagen hat in den letzten Jahren durch den Lohnstillstand beim TV Stud ziemlich zugenommen, in denen der TVStud-Lohn von TV-L-E7-Niveau auf E2-Niveau nach unten durchgereicht wurde. Sie reduziert sich ein Stück weit durch den neuen TVStud-Abschluss, aber natürlich nicht auf Null. (Und durch den Streik gibt es jetzt deutlich mehr Gewerkschaftsmitglieder, die leichter vor Gericht ziehen können.)
III. Lösungswege
Trotz dieser begrenzten und seit Jahren ertragenen Risikolage nehmen die Berliner Hochschul-Personalabteilungen das LAG-Urteil vom Juni 2018 zum Anlass, von ihrer bisherigen Praxis abzurücken. Sie scheinen diese berlinweit ca. 2000 falsch Eingruppierten loswerden zu wollen. Das ist für die Beschäftigten, aber auch für die anderen Hochschulmitglieder, unter Umständen recht unangenehm. Verschiedene Lösungen sind denkbar:
- Gewerkschaften und Hochschulen schließen einen neuen TV Stud 3.1, der den TV-L verdrängt und mithilfe der Tarif-Öffnungsklausel des TzBfG die Rechtsprobleme der Hochschulen ausräumt und somit auch TVStud-Beschäftigte außerhalb von § 121 BerlHG (und somit innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des allgemienn Personalrats!) erzeugt.→ Zumindest mit nicht-gelben Gewerkschaften extrem unwahrscheinlich, wenn der TV-L unterlaufen werden soll.
- Die Hochschulen lagern ihre studentischen Beschäftigten in Tochterunternehmen aus, die damit der TV-L-Bindung entgehen und benutzen Leiharbeitstricks für die Befristung. → Das ist recht unappetitlich, von R2G eher nicht gewollt und kann auch individuell juristisch wegen verdeckter Arbeitnehmerüberlassung angegriffen werden.
- Die Hochschulen hebeln R2G darein, den § 121 auszuweiten und damit indirekt den TVStud zu ändern. → Das scheint aktuell der favorisierte Weg bei den Hochschulleitungen zu sein, weshalb die HU jetzt auch vor der BerlHG-Novelle die Studis leiden lässt, indem sie wild Stellen unbesetzt lässt und z.B. Bib-Öffnungszeiten einschränkt. (Dort schiebt man das auf den studentischen Personalrat, der aber für diese Praxis der Uni-Verwaltung nichts kann und nur als Sündenbock für die zu Recht erbosten Studis genutzt wird.) Zumindest letztes Jahr schien Michael Müller so einer Legalisierung der aktuellen Praxis nicht so richtig zugeneigt. Die WissZeitVG-Grenzen bleiben bestehen (und können nur im Bundestag verschoben werden).
- Die Hochschulen weichen im Rahmen der Erprobungsklausel vom § 121 ab. Das hat der TU-Kanzler Neukirchen im Akademischen Senat der TU Berlin als Weg beschrieben. Ich denke eigentlich nicht, dass das mit dem aktuellen Wortlaut des § 7a BerlHG, des PersVG und im Geltungsbereich des TV Stud III wirklich den juristischen Effekt hat, den der Kanzler sich erhofft, aber wer weiß schon, was Gerichte dann in fünf Jahren sagen würden, falls TU-Gremien und Senatsverwaltung ernsthaft so etwas beschließen würden. → Auch eher unwahrscheinlich, da es sehr wacklig ist, durch viele Gremien muss und die HU es letztes Jahr schon versucht und aufgegeben hat.
- Die Hochschulen überführen die aktuell grenz-legalen TVStud-Stellen in niedrig-gruppige TV-L-Teilzeitstellen und Praktikumsplätze und überlegen sich andere Befristungsgründe. → Das kostet vermutlich etwas mehr, aber auch nicht so viel (Studis sind in niedrigen TV-L-Erfahrungsstufen, auch mit Drittelstellen glücklich und wegen Werkstudiprivileg billiger). Vermutlich können die Stellen ausschreibungsrechtlich nicht exklusiv für Studis angeboten werden, was der TU-Kanzler im AS als Problem darstellte.<fn>Das Ausschreibungs-Problem besteht auch bei der aktuellen Praxis, aber bisher hat ja noch kein Nicht-Studi juristisch dagegen geklagt, soweit ich weiß. Ggf. ließe sich das auch durch einen moderateren Eingriff ins Landesrecht regeln, als unter Ansatz 4. Oder man stellt sich auf den Standpunkt, dass es keine Privilegierung für Studis bei den TV-L-Stellen braucht – für manche Jobs an der Uni werden sie auch so die best-geeigneten Bewerber*innen sein, wenn man die Stellen auf sie zuschneidet. Und wo Nicht-Studis es besser können, warum sollte man sie nicht lassen?</fn> Es wäre vermutlich die unblutigste und jursitisch minimalinvasive Lösung und würde weniger weitreichende systematische Änderungen der Personalverwaltung bedeuten als 2.
Aktuell ist somit noch offen, ob die Hochschulen ihre Praxis an die Rechtslage anpassen (Option 5 und unwahrscheinlicher 2) oder die Rechtslage an ihre Praxis (Option 3 und unwahrscheinlicher 1 oder 4). Jedenfalls erfordern alle Lösungen Bewegung bei Hochschulleitungen oder Berliner Senat und Abgeordnetenhaus. Die studentischen Personalräte können herzlich wenig an der Lage ändern und darum wundere ich mich sehr über diejenigen Studis, die sich jetzt wie die UnAuf oder einige Unterstützer*innen des offenen Briefs an der HU unbedingt am studentischen Personalrat der HU abarbeiten wollen – als würde der Gesetze, Tarifverträge oder Stellenpläne machen! Eine politische Lösung muss her, wie Daniél in der taz – wie üblich treffsicher – kommentiert.
Kressler
Hey,
danke für diese tolle Übersicht der Lage! Sehr schön und kompakt geschrieben.
Beste Grüße