Heiße Tage in der Bildungsrepublik

2006 gab Deutschland 142,9 Milliarden Euro für Bildung aus. Das ist eine ganze Menge Geld, immerhin rund 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Doch wenn man bedenkt, dass das Bruttoinlandsprodukt insgesamt größtenteils dank der Bildung erwirtschaftet wird, ist es doch eine vergleichsweise kleine Investition.

Seit PISA wird im deutschen Bildungssystem fleißig rummodernisiert. Zugleich bemühen sich die verschuldeten Bundesländer auch stets um Einsparungen: Sie streichen Mittel oder fordern Büchergeld und Studiengebühren von den Lernenden. Das Gymnasium soll schon nach zwölf Jahren enden und Langzeitstudenten hofft man mit dem deutlich gestraften Bachelor-Master-Studienverlauf zu verjagen.

Leider versäumte man vielerorts, die Lehrpläne auszumisten. Obwohl inzwischen jeder dank Wikipedia und co schnellen Zugang zu Faktenwissen finden kann, frisst Wissensüberhäufung immer noch viel Unterrichtszeit. Und auch wenn mit den neuen Hochschulabschlüssen kein Geld mehr an Langzeitstudenten verschwendet wird, geht das jetzt an überforderten Studienabbrechern verloren.

Der neue Bachelor lässt zum Beispiel wenig Raum dafür, nebenbei zu arbeiten – zusammen mit den Studiengebühren ungünstig für mäßig situierte Studenten.

Überhaupt scheinen reiche Eltern wieder an Bedeutung zu gewinnen: Material und Bücher, Nachhilfe und Computerzugang sowie natürlich Engagement der Eltern machen oft den Unterschied aus zwischen Realschule und Gymnasium.
Reichenkinder haben somit, unabhängig von Talent und Interesse, deutlich bessere Chancen in Bildung und Beruf. Besonders häufig bleiben Kinder aus Migrantenfamilien auf der Strecke und landen in der Hauptschule, wie auch kürzlich wieder der nationale Bildungsbericht bestätigte. Das ist insofern katastrophal, dass doch gerade Bildung der effektivste Weg wäre, Menschen in diese Gesellschaft zu integrieren.

Die Bildungsreformen haben uns auch den Mittleren Schulabschluss sowie ein Zentralabitur beschert. Die neuen Prüfungen müssen zwar meist als Beweis der Unfähigkeit der Länder herhalten – die scheitern oft an Lösbarkeit oder Geheimhaltung der Aufgaben – doch sind sie noch in ganz anderer Form symptomatisch: Aus ihnen spricht die kapitalistische Verwertungslogik. Wie gut sind die Schüler und lohnt es sich, weiter in sie zu investieren? Was kann die Wirtschaft mit ihnen anfangen? Leider bedeutet ein Scheitern im MSA oder gar ein fehlender Hauptschulabschluss dann meist: unbrauchbar. Das betrifft immerhin gut ein Viertel der Schülerschaft.

Das sollte eigentlich Kritik am Bildungssystem zu einer Pflichtübung für alle Liberalen machen: Die Wirtschaft braucht Spezialisten und keine Ungelernten. Doch auch die Linken sollten hier viel Raum zum aktiv Werden wittern, denn sozial ist das System wohl auch noch lange nicht. Trotzdem hat man nicht den Eindruck, dass viele Landesregierungen Gelder in die Schulen pumpen würden. Und Frau Merkel startet mit ihrer „Bildungsrepublik“ samt Lippenbekenntnissen in den Vorwahlkampf.

Dabei ist Bildung eine sichere Investition in die Zukunft. Bildung ermöglicht sowohl den Erfolg der Wirtschaft durch Qualifikation als auch das Funktionieren der Gesellschaft dank Integration.

Aber genug von Politikern: Was ist mit Schülern und Lehrern? Die finden es freilich nich schön, wenn man an ihnen und ihrer Zukunft spart. Trotzdem vermochten sie es bisher nicht, ernsthaften Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) streikt gelegentlich, um höhere Einkommen für Lehrer und Erzieher zu erkämpfen, und die Wiederholung des Mathe-MSA brachte immerhin 3000 empörte Zehntklässler vors Rote Rathaus. Doch besonders die Schüler blieben erfolglos. Zumindest eine Audienz bei Bildungssenator Zöllner konnten sie erreichen – ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem letzten Bildungsprotest: Als am 22. Mai 2008 rund 8000 Schüler dem Unterricht fernblieben und stattdessen durch Mitte zogen, zeigte sich der Senat nur wenig beeindruckt, wollte allerdings das Verlassen des Unterrichts ahnden lassen.

Doch scheint der Unmut zwischen Schülern und Studenten zu wachsen. Am 12. Juni gingen bundesweit über 15000 auf die Straße, in Düsseldorf und Hannover kam es gleich zu einer Reihe von Protesten mit tausenden Teilnehmern und erst am 24. Juni demonstrierten 2500 Kreuzberger Grundschüler gegen die Kürzung von Förderunterricht bei Vergrößerung der Klassen. Für den Herbst sind bereits noch größere Proteste angekündigt.

Dass etwas verkehrt läuft, ist klar bei überfüllten Klassen und wachsendem Leistungsdruck, nicht mehr qualifizierenden Hauptschulen und nur noch zu Lernfabriken degradierten Unis. Was die Lösungen zu all diesen Problemen sind, weiß noch niemand. Auf jeden Fall müssen Landesregierungen und Bundesregierung sich für eine Debatte öffnen und mit ihren kurzsichtigen Kürzungen aufhören. Sonst leben wir schon bald in einem Land, in dem sowohl Wachstum und Wirtschaft als auch Geist und Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben.

Ein Kommentar

  1. Darren

    Hey Mr.Keks!

    Ein schöner Text und er enthält gute Argumente, die alle extrem schlüssig sind und nicht schlecht ausgeführt sind. Doch du hast ein Phänomen in der Politik vergessen. Zur Zeit feiert auf Bundesebene vor allem die CDU/CSU einen "Erfolg" nach dem anderen. Zumindest in den augen der Öffentlichkeit. einige sehr bedenkenswerte Statistiken beweisen das. Und je mehr Erfolg eine Regierung hat, desto mehr wird sie sich davor hüten Themen anzupacken, bei denen die Bürger vielleicht abstriche machen müssen oder die einfach langfristig erst Erfolg versprechen. siehe unser Demografisches Problem, Arbeitsloasen Reform oder eben das Bildungssystem.

    So far… Darren

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