Am Dienstag, dem 12. Februar 2008, wäre Darwin 199 Jahre alt geworden, wenn die Evolution uns nicht so elendig sterblich gemacht hätte. Selbst Darwins Schildkröte, Harriet, ist ja schon 2006 im Alter von 176 Jahren gestorben. Ganz unabhängig von Darwin, oder vielleicht auch zu seinen Ehren, zierten jedenfalls am 12. Februar 2008 große, gut lesbare Schriftzüge die Fassade um Hof1. Es handelte sich um diverse links-intellektuelle Zitate (siehe Kasten) und Sprüche wie: „An etwas Übernatürliches zu glauben, ist menschlich. Es auszunutzen, ein Verbrechen.“
Da denkt man sich: Aha, hier hat wohl der internationale Atheismus zugeschlagen. Offenbar vermutete jemand Inteligent Design in unserem Lehrplan oder pflegte andere Vorbehalte gegen katholische Schulen. Und das wollte er uns mitteilen – auf unseren Wänden.
Schon am nächsten Morgen war alles entfernt. Mit Hochdruck (vgl. letzte Ausgabe) hatte der Hausmeister am Nachmittag daran gearbeitet. Doch frech, wie solche Graffitischmierer sind, kehrten die Täter am Valentinstag wieder und ließen uns wissen: „Steine vergessen nie“ und „Wer Wände säubert, verbrennt auch Bücher“ oder auch „Ales [sic!] Gute zum Valentinstag“. Das kam dieses mal nicht ganz so intellektuell rüber. Vielen erschloss sich nicht, was saubere Wände und verbrannte Bücher miteinander zu tun haben sollen. Vielmehr ist doch das Bemalen von Wänden Sachbeschädigung, also Verbrechen!
Doch wollen wir uns hier um etwas Empathie bemühen. Aus einem anderen Blickwinkel war das auf unseren Wänden Meinungsäußerung – unabhängig davon ob nachvollziehbar oder nicht. Wenn unser gesamter Umgang mit der Meinung eines anderen darin besteht, ihren Ausdruck zu beseitigen, dann unterscheiden wir uns nicht von denen, die Bücher verbrennen. Dennoch unterscheidet sich hier natürlich die Situation: Die Wände gehören der Schule. Und wenn die Schule entscheidet, dass diese nicht zur Meinungsäußerung gedacht sind, so ist das ihr gutes Recht.
Könnten die Sprayer nicht andere Formen der Kommunikation wählen? Man kann doch auch auf Papier schreiben oder mit Leuten reden. Man kann publizieren, bloggen, demonstrieren, appellieren. Dennoch: Man möchte ja auch gehört werden. Und dazu ist Provokation ein gängiges Mittel. Zu leicht geht man sonst unter im heutigen Chaos der Kommunikation. Damit die Botschaft wirklich ankommt, muss man sie dem anderen leider aufdrängen.
Sich mitzuteilen, wird vorwiegend den gewöhnlichen Bürgern schwer gemacht. Wer Geld hat, der kann es sich leisten, seine Botschaft und seinen Namen allgegenwärtig zu machen. Unternehmen sponsoren alles von Kunst bis Sport, sodass es keine Kultur mehr gibt ohne sie. Auf T-Shirts sehen wir ihre Zeichen. In Zeitungen besetzen sie die ersten Seiten. In den Straßen verfolgen uns ihre Plakate. Zu Hause schalten sie sich zwischen unsere Lieblingsfilme. In der Schule stellen sie ihre Cola-Automaten auf. Nur unsere Wände gehören noch nicht ihnen und ihren Botschaften – weisen Sprüchen wie: „Come to Marlboro Country“ oder „Just do it.“
Dieses Phänomen, dass Kommunikation uns verfolgt, anstatt auf uns zu warten, kommt also aus zwei Richtungen: Einmal von unten im Schutze der Nacht und einmal von oben legitimiert durch Geld. Wenn die großen Marken den öffentlichen Raum für ihre Botschaften nutzen dürfen, warum darf es dann nicht die Basis der Gesellschaft? Darf Meinungs- und Redefreiheit denn vom Geldbeutel abhängen? Ist der Charakter der Botschaft denn nicht ein besseres Maß für ihre Berechtigung?
Denn auch im Charakter unterscheiden sich die Botschaften essentiell: Von oben möchte man uns manipulieren. Wir sollen kaufen und Umsätze generieren. Von unten möchte der Sender in erster Linie seine Meinung äußern, seine Identität bewahren.
Während die einen somit schlicht unser Geld wollen, möchten die anderen sich bloß artikulieren. Das Ziel der einen ist Haben, das der anderen Sein. Wieso verurteilen wir stets letztere?